Magersucht/ Anorexia Nervosa



Im Volksmund wird die Anorexia nervosa als Magersucht bezeichnet.

Aus dem Griechischen übersetzt heißt Anorexia „Appetitmangel“, was ungenau ist, da Betroffene oft unter starken Hungergefühlen leiden.

Prävalenz

Die Anorexia nervosa ist mit einer geschätzten Prävalenz von 0,7% unter weiblichen Teenagern zwar seltener als die Bulimie, zeigt aber nicht selten mit schweren körperlichen Komplikationen einen deutlich ungünstigeren Verlauf.

Die Erkrankung beginnt am häufigsten im Jugendalter wobei eine Diät, die anschließend außer Kontrolle gerät, ein Einstieg sein kann. Die Krankheit kann jedoch auch bei Erwachsenen oder bereits vor Eintritt der Pubertät auftreten.

 

Zu den Risikogruppen zählen Frauen zwischen 15 und 25 Jahren. Besondere Risikogruppen stellen Modells und Balletttänzerinnen dar (Figurdruck). Bis zu 95% aller Betroffenen sind weiblich.

 

Im Verlauf zeigt sich bei ca. 50% der Betroffenen eine gute Besserung. Bis zu 33% genesen wieder vollständig.

Bei ca. 20% nimmt die Krankheit einen chronischen Verlauf.

Die Mortalität bei Magersucht liegt je nach Studie zwischen 4%-20%.

Bei jungen Menschen ist die Genesungsrate höher, als bei älteren. Durch neue schwere Belastungen kann es zu Rückfällen kommen.

 

 

Altersspanne

15-35 Jahre (Punktprävalenz in dieser Altersspanne: 0,4-1,5%, in Risikogruppen (z. B. Balletttänzerinnen) deutlich höher!)

Erkrankungsalter

Im Durchschnitt mit 16 Jahren

Geschlechtsverteilung

(W : M):   12:1

 

Ätiologie

Bei der Anorexia nervosa werden im Wesentlichen folgende Ursachen vermutet:

 

Magersucht als Folge einer anhaltenden Diät mit nachfolgendem Verlust der kognitiven Kontrolle über das eigene Nahrungsbedürfnis: Aufgrund fastenbedingter Veränderungen im Stoffwechsel, im Wasser-, Elektrolyt- und Hormonhaushalt sowie im psychischen Befinden verselbständigt sich die Diät und treibt den Körper dadurch immer weiter in den Hungerzustand, während der oder dem Betroffenen gleichzeitig die Wahrnehmung für ihren tatsächlichen Ernährungs- und Allgemeinzustand und die möglichen lebensbedrohlichen Konsequenzen abhandenkommt.

Magersucht als unbewusste Abwehr

  • von sexuellen Triebwünschen, wobei die Verweigerung der Nahrungsaufnahme symbolisch für die Weigerung gegen ein "Geschwängert-werden" stehen könnte, die Vermeidung einer jeglichen Gewichtszunahme als "Beweis" für das Nichtbestehen einer Schwangerschaft und die negativen Folgen der Diät auf die sekundären Geschlechtsmerkmale sowie das Ausbleiben der Regelblutung für die Leugnung oder Negation der geschlechtlichen Rolle.
  • eines tiefsitzenden Ohnmachtsgefühls durch die Installierung einer vollständigen Kontrolle über das eigene Essverhalten, messbar durch das Körpergewicht

 

Magersucht als kompromisshafte unbewusste Abwehr ungelöster familiärer Konflikte, indem versucht wird, durch die Beherrschung der Triebe im innerfamiliären Gefüge eine Sonderstellung zu erlangen und sich selber damit über die Konfliktebene zu erheben

Aus systemisch-familientherapeutischer Sicht herrscht in Familien mit an Magersucht Erkrankten ein großes Harmoniestreben der Familienmitglieder untereinander, eine Auseinandersetzung mit Konflikten und negativen Gefühlen (Wut, Zorn, Unsicherheit, Ängste) findet nicht statt. Die Mütter magersüchtiger Patienten sind häufig übermäßig ängstlich und wenig selbstbewusst. Geringe emotionale Unterstützung, geringer Kontakt, emotionale Kälte, geringe oder nur bedingte Zuneigung und hohe Erwartungen der Eltern scheinen ebenfalls eine Rolle zu spielen.

 

Merkmale

Merkmale der Anorexia nervosa:

 

  • Weigerung, normales Körpergewicht zu halten
  • stark ausgeprägte Ängste vorm dick werden oder auch geringer Gewichtszunahme als tiefverwurzelte überwertige Idee (Diese Ängste bestehen auch, wenn schon Untergewicht erreicht ist.)
  • fehlender Kontakt zum Körper und dessen Bedürfnissen
  • ständiges Wiegen und sich dick fühlen
  • Der Kopf kontrolliert und steuert.
  • Schwarz-weiß-Denken
  • Essen vortäuschen, kauen und ausspucken
  • Einseitige Nahrungsauswahl von kalorienarmen Getränken und Nahrungsmitteln
  • Betroffene legen eine sehr geringe Gewichtsschwelle für sich fest.
  • Übermäßige Beschäftigung mit dem Essen
  • Hungergefühle werden unterdrückt
  • Nahrungsaufnahme wird auf ein Minimum reduziert, bis hin zur völligen Verweigerung
  • Wahrnehmungsstörungen: Betroffene halten sich selbst bei starkem Untergewicht noch für zu dick. Sie nehmen ihren Körper verzerrt wahr. (Körperschemastörung)
  • Betroffene nehmen oft Appetitzügler, Entwässerungsmittel und/oder Abführmittel.
  • starke sportliche Betätigung
  • keine Krankheitseinsicht
  • sozialer Rückzug
  • fehlangepasste Einstellungen, es bestehen meist große Anforderungen an die eigene Person und ein Hang zum Perfektionismus
  • Häufig kommt es zu starken Konflikten in der Familie und im Freundeskreis, weil sich Außenstehende und Familienmitglieder große Sorgen um Betroffene machen.
  • Patienten leiden zumeist auch unter psychologischen Problemen, die sich zu der Anorexia hinzugesellen, wie niedrige Selbstwertgefühle, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und Zwangssymptomatik.

 

Körperliche Folgen

Die Magersucht ist eine schwere, unter Umständen tödliche Erkrankung. Das extreme Untergewicht verursacht körperliche Folgen, u.a.:

 

  • Herz: verlangsamter Herzschlag, niedriger Blutdruck, Veränderungen bei der Erregung des Herzmuskels und Herzrhythmusstörungen, woraus ein plötzlicher Herztod folgen kann.
  • Blut: Störungen der Elektrolyte (besonders gefährlich: Hypokaliämie mit Herzrhythmusstörungen), Unterzuckerung, Blutarmut
  • Hormone: niedrige Konzentrationen von Geschlechtshormonen, dadurch: Amenorrhö, Unfruchtbarkeit, mitunter Ausbleiben des Brustwachstums bei Frauen. Verlust von Libido und Potenz bei Männern. Niedrige Konzentration von Schilddrüsenhormonen. Leicht erhöhte Konzentration von Glucocorticoide.
  • Knochen: Osteoporose mit erhöhtem Risiko einer Fraktur
  • (falls häufiges Erbrechen) Zähne: Erosionen durch Magensäure, Karies.
  • Organe: Darmträgheit und chronische Verstopfung, Magenkrämpfe, Übelkeit, Nierenversagen, Blasenschwäche
  • Die Kranken sind sehr kälteempfindlich und ihre Körpertemperatur kann erniedrigt sein, weil der Körper den Stoffwechsel herunterfährt und das wärmedämmende subkutane Körperfett fehlt.
  • Schwindelgefühle, Ohnmachtsanfälle
  • trockene Haut
  • Wachsen von Lanugohaaren an Rücken, Armen und Gesicht
  • Bei Frauen bleibt die Periode aus (Amenorrhö). Die Einnahme der Antibabypille überdeckt dieses Symptom, daher ist das Auftreten der Monatsblutung kein sicheres Ausschlusskriterium für Anorexia nervosa. Die künstlich zugeführten Hormone regulieren jedoch nicht den gesamten gestörten Hormonhaushalt.

 

Etwa 15%  der Erkrankten sterben – entweder durch Komplikationen wie Herzstillstand oder Infektionen, oder aber durch Selbstmord.

 

Ein Teil der überlebenden Patienten leidet zeitlebens an Langzeitfolgen wie Osteoporose oder Niereninsuffizienz.

 

Durch die verzerrte Wahrnehmung der Betroffenen, nehmen diese ihre Erkrankung nicht ernst und meist auch gar nicht wahr. Sie lehnen therapeutische Hilfe hartnäckig ab.

Ihnen ist nicht bewusst, dass diese Krankheit große Schäden herbeiführt oder sogar lebensgefährlich ist.

 

Diagnosekriterien der ICD-10

Tatsächliches Körpergewicht mindestens 15% unter dem zu erwartenden Gewicht oder Body-Mass-Index von 17,5 oder weniger.

 

Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch Vermeidung von hochkalorischer Nahrung und/oder zusätzlich mindestens eine der folgenden Möglichkeiten:

 

  • selbstinduziertes Erbrechen
  • selbstinduziertes Abführen
  • übertriebene körperliche Aktivität
  • Gebrauch von Appetitzüglern und/oder Diuretika

 

Körperschemastörung in Form einer spezifischen psychischen Störung

Endokrine Störungen, bei Frauen manifestiert als Amenorrhö, bei Männern als Libido- und Potenzverlust

Bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät ist die Abfolge der pubertären Entwicklung gestört (Wachstumsstopp, fehlende Brustentwicklung)

 

Es wird unterschieden zwischen 

  • Anorexie ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (Erbrechen, Abführen…) (F50.00)
  • Anorexie mit aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (F50.01) dazu gehört auch die sogenannte "bulimische Form der Anorexie", welche mit Heißhungerattacken einhergeht
  • Atypische Anorexia nervosa (bei Fehlen eines oder mehrerer wichtiger Merkmale trotz typischem Erscheinungsbild) Zum Beispiel können die Schlüsselsymptome wie deutliche Angst vor dem zu Dicksein oder die Amenorrhö fehlen, trotz eines erheblichen Gewichtsverlustes und gewichtsreduzierendem Verhalten.

 

Body Mass Index:

 

Körpergewicht [kg]

BMI = -----------------------------------------

(Körpergröße [m])2

 

Untergewicht                                     <18,5

Normalgewicht                                >=18,5 <25

Übergewicht/Adipositas                 >=25/ >30