Tiefenpsychologisch fundierte Verfahren


Hier findet ihr einiges zur Theorie der Tiefenpsychologie.

 

Erläuterungen des Begriffs Neurose in Abgrenzung zur Psychose, die verschiedenen Entwicklungsphasen und Abwehrmechanismen und schließlich verschiedene Therapieverfahren, die auf dieser Theorie begründet sind. 


Was ist Tiefenpsychologie?

Die zentrale Vorstellung der Tiefenpsychologie ist, dass unter der Oberfläche des Bewusstseins weitere, unbewusste Prozesse ablaufen, die das bewusste Seelenleben stark beeinflussen.

 

Das Vorbewusste bezeichnet alle psychischen Vorgänge und Inhalte, die im Augenblick nicht aktiviert, aber im Gegensatz zum Unbewussten prinzipiell zugänglich sind und jederzeit wieder aktiviert werden können.

 

Siegmund Freud war der erste, der diese Annahme systematisch untersuchte und dann aus seinen Erkenntnissen die Psychoanalyse begründete.

 

Kernstücke der psychoanalytischen Theorie sind:

 

  • das Instanzenmodell (Es, Ich, Über-Ich)
  • das Modell der psychosexuellen Entwicklungsstufen
  • die spezielle Neurosenlehre.

 

Neurosenlehre

Allgemeine Neurosenlehre

 

1776 wurde von William Cullen ((1776) schottischer Mediziner und Chemiker) der Begriff Neurose eingeführt. Mit diesem Begriff sollten in Abgrenzung von Neuritis alle nichtentzündlichen Erkrankungen des Nervensystems bezeichnet werden. Damit waren auch psychische Störungen gemeint. Dies bedeutet nicht, dass mit dem von Cullen geprägten Begriff der Neurose auch schon eine Bedeutung von Neurose in unserem heutigen Sinne festgelegt wurde.

 

Seit der Zeit Sigmund Freuds wurde hierunter leichtgradige psychische Störungen verstanden, die durch innere Konflikte verursacht werden. Neurosen wurden den Psychosen, schwereren seelischen Störungen, gegenübergestellt.

 

Der Neurotiker vermag seine Verhaltensstörungen nicht zu kontrollieren, er ist sich seines Leidens jedoch bewusst und fähig, dessen Ursachen zu ergründen.

Gemäß Freuds Theorie führt dieses geistige Streben zu ersten therapeutischen Ergebnissen.

 

Der Psychotiker ist dazu tendenziell außerstande, da bei ihm auch der Realitätsbezug nicht mehr vorhanden ist, die Krankheitseinsicht fehlt meist. Die Übergänge zur Neurose sind jedoch fließend.

 

Als differentialdiagnostisches Kriterium zur Abgrenzung von der Psychose gilt unter anderem auch, dass die Neurotiker ihre Zwänge als in ihnen selbst liegend zu erkennen vermögen, während die von einer Psychose Betroffenen im akuten Fall an dem Unvermögen leiden, ihre innere Situation (‚Stimmen hören‘ u. Ä.) von der sie umgebenden Realität zu differenzieren.

 

Die Neurose ist eine psychische Verhaltensstörung längerer Dauer. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie erst im Laufe der Entwicklung entstanden ist.

Organische Störungen als Ursache des Fehlverhaltens müssen ausgeschlossen werden.

 

Das Leitsymptom der Neurose ist Angst.

 

Häufig sind an Neurosen leidende Menschen in ihren Handlungen durch ihre Angst eingeschränkt, resignieren, ziehen sich zurück oder erleiden einen Verlust ihres Lebensgefühls.

 

10 – 20% der Bevölkerung leiden an neurotischen Störungen.

Neurotische Symptome schwächen sich meist mit zunehmendem Alter ab.

 

 

Unterschiede Neurose/ Psychose

 

 

Neurose

Psychose

Ursache

psychogen

endogen oder exogen

Dauer

Monate bis Jahre

Tage bis wenige Monate bei akuten Psychosen

Jahre bei chronischen Psychosen

Symptome

ICH-Schwäche, Ängste,

Verstimmungen

Halluzinationen, Wahn, Parathymie

Charakter

übersteigertes Verhalten,

nachvollziehbar

für die Person untypische Symptome

Realität

Realitätsbezug erhalten

Realitätsverlust

Sozial

eingebunden

isoliert

Therapie

Psychotherapie, unterstützend mit Medikamenten

Medikamente und ggf. Behandlung der exogenen Ursachen

 

 

 

Neurosen lassen sich ganz grob in drei verschiedene Typen einordnen:

 

Neurosen mit überwiegend neurologischen Symptomen

Konversionsneurosen (körperliche Beeinträchtigungen):

Taubheit, Blindheit, Ohnmachtsanfälle, Bewegungseinschränkungen bis hin zu Lähmungen, Empfindungsstörungen, Amnesie

Neurosen mit überwiegend Angstsymptomen

Angstneurosen, Angstanfall, Phobien, Herzangstneurosen, Hypochondrie, Neurasthenie, Zwangsneurose (Angstsymptome dienen dann dazu, unbewusste Angst, die aus dem inneren Konflikt rührt, abzuwehren)

Neurosen mit überwiegend autoaggressiven Symptomen

Neurotische Depression, psychischer Masochismus

 

 

Inzwischen wurde der Begriff Neurose zugunsten einer differenzierteren Aufteilung in verschiedene Störungsgruppen weitestgehend aufgegeben. So konnte man den verschiedenen unter "Neurosen" zusammengefassten Störungsbildern besser gerecht werden. Zudem ließen sich die mit dem Begriff Neurose verbundenen theoretischen Annahmen, vor allem in Hinsicht auf psychische und körperliche Verursachung, in dieser Form nicht halten.

 

Eine neurotische Störung definiert die ICD-10 als eine Störung der Erlebnis- und Konfliktverarbeitung, für die keine organischen Ursachen vorliegen.

 

Nach verhaltenstheoretischem Konzept ist Neurose durch erlernte Fehlanpassung hervorgerufen. Die auslösenden traumatisierenden Faktoren sind als Stressoren anzusehen.

 

 

Psychoanalytische Neurosenlehre

 

Die neurotische Symptombildung ist in der Psychoanalyse der Ausdruck eines unbewussten frühkindlichen inneren Konflikts. Je nachdem in welchem Alter die Störung stattfand, entwickeln sich unterschiedliche Störungsbilder.

Man spricht von Fixierung auf der jeweiligen Entwicklungsstufe.

 

Freud betrachtete den Sexualtrieb (Libido) als wesentlich für die menschliche Entwicklung. Dabei verstand er Libido nicht nur im engeren Sinne als Sexualtrieb, sondern als diejenige Lebensenergie, die an allen seelischen Regungen beteiligt ist.

 

Im Laufe der psychosexuellen Entwicklung eines Kindes stehen nach Freud unterschiedliche Körperregionen im Vordergrund der autoerotischen Betätigung.

In jeder dieser Phasen kann die Entwicklung fehlgeleitet werden. Spätere Konfliktsituationen können zu einer Regression in diese Phase führen.

 

Die psychosexuellen Entwicklungsstufen nach Freud

 Die Psychosexuellen Entwicklungsstufen nach Freud sind:

 

  • Orale Phase (1. Lebensjahr)
  • Anale Phase (2.-3. Lebensjahr)
  • Phallische Phase/Ödipale Phase (4.-5. Lebensjahr)
  • Latenzphase (6.-10. Lebensjahr)
  • Genitale Phase 11.-16. Lebensjahr ( Pubertät)

 

 

Orale Phase (Erstes Lebensjahr)

Befriedigung körperlicher Grundbedürfnisse über Mund und Haut über Saugen, Lutschen, Anklammern.

Im Mittelpunkt dieser Phase steht die Vermittlung von Urvertrauen, Sicherheit und Geborgenheit.

 

In der frühen oralen Phase ist das Kind noch nicht fähig, zwischen „Ich“ und „Umwelt“ zu unterscheiden. Erst gegen Ende der oralen Phase hat es, bei erfolgreichem Durchlaufen, ein Gefühl von „Selbst“, abgetrennt vom „Objekt“, aufgebaut.

 

Das Kind ist in der oralen Phase völlig von der Bezugsperson abhängig, die ihm ein angemessenes Gleichgewicht von Reizzufuhr und Reizschutz vermitteln muss.

 

Bei einem negativen Verlauf dieser Phase, möglicherweise durch Versagung oder Störung der Abhängigkeitsbedürfnisse, aufgrund z.B. feindseliger Einstellung der Mutter, mangelnder Ruhe und Sicherheit, mangelndem Hautkontakt, kann es zu Störungen des Selbstwertes, Beziehungsunfähigkeit, depressiven Störungen, Misstrauen, Sucht, Sexualstörungen, psychosomatischen Störungen oder / und Persönlichkeitsstörungen kommen.

 

Als Strukturelle Störungen werden psychische Störungen bezeichnet, in denen die Verfügbarkeit über psychische Funktionen eingeschränkt ist, die für die Organisation des Selbst und seine Beziehungen zu inneren und äußeren Objekten erforderlich sind.

D.h. die Betroffenen haben Schwierigkeiten, sich dauerhaft als ganze, zusammenhängende Person zu erleben, das Bild von sich selbst ändert sich häufig, das Gefühl für die eigene Identität ist schwach und leicht störbar.

In der Beziehung zu anderen Menschen kann es schwierig sein, sich von anderen als getrennt zu erleben, den oder die andere sein zu lassen, wie sie ist. Es fällt schwer, den anderen als ein Gesamtes von positiven und Schattenseiten zu sehen, einzelne Seiten werden hervorgehoben, andere ausgeblendet, die andere Person kommt in eine eng begrenzte Schublade. Häufig können Verwirrung und Missverständnisse in der Kommunikation auftreten. Menschen mit strukturellen Störungen haben meist nur wenige gute innere Bilder von sich und anderen oder können letztere z.B. bei Abwesenheit des anderen schwer halten. Es fällt schwer, Bindungen einzugehen oder sich loszulösen.

Anpassungsversuche oder das Scheitern dieser Versuche zeigen sich in vielen, häufig wechselnden Symptomen und meist in erheblichen Beziehungsstörungen.

Strukturelle Störungen sind meistens Folge frühkindlicher Beziehungsstörungen. (Borderline-Persönlichkeitsstörung)

 

Libido

Nahrungsaufnahme, Triebbefriedigung und Lustgewinn durch Saugen und Beißen

Zentrale Themen

Urvertrauen vs. Urmisstrauen, Bindung, Abhängigkeit

Störungen

Sucht, Sexualstörungen, Nähe-Distanz-Probleme,

Selbstwertprobleme; Psychosen Störungen des Selbstwertes, Beziehungsunfähigkeit, depressiven Störungen, Misstrauen, psychosomatischen Störungen, Persönlichkeitsstörungen

 

 

Anale Phase (2.- 3. Lebensjahr)

Als erogene Zone wird der untere Gastrointestinal Trakt betrachtet.

 

Es kommt zum Machterleben durch Hergeben und Zurückhalten der Exkremente.

und zu ersten Machtkämpfen zwischen den Eltern und dem Kind (Trotzphase).

 

Durch die Auseinandersetzung mit Normen, Regeln und Verboten kommt es zur Ausbildung des Über-Ichs.

 

Hier ist es wichtig, ob Eltern Aggressionen zulassen können oder als bedrohlich ansehen und sie unterdrücken.

Bei einem negativen Verlauf dieser Phase, z.B. durch zu einschränkende, strenge, rigide und überbehütende Erziehungsmethoden oder Reinlichkeitsdressur, kann es bei Betroffenen zu Geiz, Zwangsstörungen, übertriebener Ordnungsliebe, Querulanz, Sexualstörungen, starken Machtwünschen, Bindungsproblemen und zu neurotischen Entwicklungen aufgrund verdrängter Aggressionen kommen.

 

Libido

Triebbefriedigung und Lustgewinn durch Ausscheiden oder Zurückhalten

Zentrale Themen

Nähe vs. Distanz, Autonomie vs. Abhängigkeit, Macht vs. Ohnmacht

Störungen

Phobien, Zwangsneurosen, zwanghafter Charakter

 

 

Phallische / ödipale Phase (4.- 6. Lebensjahr)

Der Großteil der Aufmerksamkeit in dieser Phase richtet sich auf die Erforschung der eigenen Geschlechtsteile.

Die Triebwünsche in dieser Phase äußern sich in der Regel im Begehren des gegengeschlechtlichen Elternteils. Aus diesem Begehren ergibt sich ein Konflikt, den Freud „Ödipuskonflikt“ genannt hat.

 

Als Lösung dieses Konfliktes kommt es, bei geglücktem Durchlaufen der phallischen Phase, zur Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil. Es kommt zur Ausbildung der Geschlechtsidentität und zum bewussten Erleben des Geschlechtsunterschiedes.

 

Mögliche Folgen eines nicht überwundenen Ödipus-Konfliktes (Ödipus-Komplex) sind Nichtbejahung der eigenen Geschlechterrolle, Identifizierung mit dem anderen Geschlecht oder Liebesunfähigkeit, Sexualstörungen, Partnerprobleme, Ängste und Konversionssymptome.

 

Libido

Genital fokussiertes Lustempfinden, Erleben der sexuellen Unterschiede

Zentrale Themen

Relativierung der Liebe zum gegen-geschlechtlichen Elternteil und Identifizierung mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil (Lösung des Ödipuskonfliktes)

Störungen

Partnerprobleme, Sexualstörungen und Sexualängste

 

 

Latenzzeit (7.- 10. Lebensjahr)

Befriedigung wird durch das Entwickeln von Fähigkeiten und der Erkundung der Umwelt erlangt.

Das Kind wird fähig, auf direkte Lustbefriedigung zu verzichten, sie auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben oder in andere Energie, wie zum Beispiel in sachliches Interesse, umzusetzen (Sublimierung). Kulturelle Werte werden von Vorbildern übernommen und kognitive Fähigkeiten erworben.

Die Schule und das Spielen mit Geschlechtsgenossen nimmt an Bedeutung zu, während die Sexualität verdrängt wird.

 

Zentrale Themen

Entwicklung des Selbstwertgefühls

Themen

Knüpfen von Beziehungen zu Gleichaltrigen

Störungen

Angst vor Auseinandersetzungen mit anderen, aggressive und autoaggressive Tendenzen, Verhaltensstörungen, Konzentrationsprobleme, Leistungsschwäche

 

 

Genitale Phase (11.- 16. Lebensjahr)

Nach der Überwindung der sexuellen Latenzperiode erhalten in der Pubertät die Genitalien des Kindes den Vorrang vor anderen erogenen Zonen. War der Sexualtrieb bis dahin hauptsächlich autosexuell, so sucht er nun sein Sexualobjekt und stellt sich in den Dienst der Fortpflanzungsfunktion.

Diese auch Pubertäts- oder Adolenszenzphase genannte Zeit stellt den Übergang ins Erwachsenenalter dar und ist geprägt von körperlichen Veränderungen und dem damit verbundenen Rollenwechsel.

Fähigkeiten und Grenzen werden ausgetestet, neue Ideale gebildet, es kommt zur Ablösung von den Eltern und zur Ausreifung der sexuellen Identität.

 

Zentrale Themen

Verstärktes Erleben des eigenen Selbst

Themen

Triebwünsche und Geschlechtsidentität, eigene Fähigkeiten und ihre Grenzen, Autonomiebedürfnis und Abhängigkeit von den Eltern

Störungen

Störungen der Geschlechtsidentität, Sexualängste, sadomasochistische Neigungen schwere Selbstwertprobleme, Manifestieren erster Süchte, Konversionssymptome, Essstörungen

 

 

Strukturmodell der Psyche

Freud entwickelte zur Veranschaulichung der Krankheitsdynamik bei Neurosen ein Strukturmodell der Psyche. Er sprach von einem psychischen Apparat, der aus drei Instanzen, dem Ich, dem Es und dem Über-Ich bestehe.

 

Über-Ich

Das Über-Ich (Gewissen) steht dem Es gegenüber. Es repräsentiert Werte, Moralvorstellungen und Normen.

Ich

Aufgabe des Ichs ist es, nach dem „Realitätsprinzip“ einen Kompromiss zwischen den sich widerstrebenden Zielen von Es und Über- Ich zu finden.

Es

Das Es ist bei Freud der Sitz der Bedürfnisse, Triebe und Wünsche, die sofort ausgeführt werden wollen.

 

 

Findet das Ich keine Lösung bei einem Konflikt zwischen den inneren Instanzen, besteht dadurch für den Menschen ein ungelöster Konflikt.

 

Eine neurotische Störung entsteht, wenn ein Betroffener die Konfliktspannung nicht mehr erträgt.

 

Zu seiner Entlastung setzen die neurotischen Abwehrmechanismen ein und verdrängen den unerträglichen Konflikt ins Unbewusste, wodurch die Konfliktspannung und Angst des Betroffenen gemindert werden.

 

In der Kindheit bringt die Verdrängung dieser Konflikte zwei Gewinne für das Kind:

 

1. Die Angst wird verdrängt und damit nicht (mehr) gespürt = Primärer Krankheitsgewinn

2. Das Kind bekommt in der Regel eine positive Verstärkung von außen (z.B. in Form von „braves Kind“ etc.) = Sekundärer Krankheitsgewinn

 

Diese unbewussten Konflikte können durch Auslöser im Erwachsenenalter wieder aktualisiert werden.

 

Nach Freud entsteht eine Neurose, wenn Triebimpulse aus dem Es nicht mehr (ausreichend) vom Ich abgewehrt werden können. Die Triebimpulse aus dem Es sind dann zu stark und/oder das Über-Ich hat zu rigide Normen.

Die Person wird krank („Kompromissbildung“).

 

Es gibt dann keinen inneren Konflikt mehr, aber Symptome.

Die Symptome führen somit zu einer Konfliktentlastung, welche als primärer Krankheitsgewinn bezeichnet wird.

 

Wenn die Abwehr „zusammenzubrechen“ droht (d.h. die Abwehrmechanismen des Ichs funktionieren nicht mehr ausreichend), entsteht eine diffuse Angst.

 

Abwehrmechanismen

Abwehrmechanismus ist ein Begriff aus der Psychoanalyse. Mit ihm werden psychische Vorgänge bezeichnet, die den Zweck haben, miteinander in Konflikt stehende psychische Tendenzen (Triebe, Wünsche, Motive, Werte) so zu bewältigen bzw. zu kompensieren, dass die resultierende seelische Verfassung konfliktfreier ist. Dies erfolgt meist unbewusst.

 

Die Abwehr gehört im psychoanalytischen Modell zu den Ich-Funktionen. Abwehrmechanismen werden in reifere (z. B. Verdrängung) und unreifere (z. B. Spaltung) unterteilt. Sie werden der bewussten Problembewältigung bzw. Konfliktverarbeitung gegenübergestellt, die als Bewältigungsstrategie (englisch coping) bezeichnet wird.

 

 

Abwehrvorgänge sind nicht als solche dysfunktional, sondern müssen immer im Gesamtzusammenhang der psychischen Struktur der jeweiligen Person gesehen werden. Meistens sind sie Bestandteil der bestmöglichen inneren Konfliktlösungen, die ein Individuum im Laufe seiner psychischen Entwicklung erreichen konnte.

 

 

 

Abwehrmechanismen des Ichs

 

Verdrängung

 

Unbewusste Abdrängung bzw. Unterdrückung bedrohlicher Gefühle wie Schuld, Scham oder das Herabsetzen des Selbstwertgefühls ins Unbewusste. In Träumen, Fehlleistungen oder Krankheitssymptomen kann eine Verdrängung wieder zum Vorschein kommen.

Verleugnung

 

Im Unterschied zur Verdrängung wird nicht ein konfliktreicher innerer Wunsch abgewehrt, sondern ein äußerer Realitätsausschnitt verleugnet, also in seiner Bedeutung nicht anerkannt.

Beispielsweise werden Veränderungen in der Umgebung zwar wahrgenommen, aber ihre reale Bedeutung wird emotional nicht erlebt und rational nicht anerkannt.

Verschiebung

 

Phantasien und Impulse werden von einer Person, der sie ursprünglich gelten, auf eine andere verschoben, so dass die ursprünglich gemeinte Person unberührt bleibt

(z. B. Aggression gegen eine tadelnde Autoritätsperson wird in Form von Beschimpfungen oder Tritten als Aggressionsverschiebung an einem Hund ausgelassen).

Eine Verschiebung kann auch in Träumen stattfinden.

Kompension

 

Schwächen werden durch übermäßige Leistungen und durch Befriedigung auf einem anderen Gebiet ausgeglichen.

Isolierung

 

Ein unerfüllbarer Wunsch wird dadurch bewältigt, dass er in entstellter Form befriedigt wird, wobei er als fremd, nicht der eigenen Person zugehörig, erlebt wird. Isolierung tritt häufig bei Zwangsneurosen auf, wo zum Beispiel die Zwangsvorstellung, andere Leute könnten auf der Straße tot umfallen, an die Stelle eines vom Ich nicht annehmbaren Todeswunsches gegen den Vater tritt.

Affektisolierung

Fehlen oder Dämpfung eines normalerweise spontan auftretenden Gefühls in einer bestimmten Situation.

Sublimierung

 

Nicht erfüllte Triebwünsche werden durch gesellschaftlich höher bewertete Ersatzhandlungen ersetzt und damit befriedigt (Kunst, Wissenschaft, Musik, Sport, exzessive Arbeit). Typischerweise eignen sich für bestimmte Wünsche bestimmte Sublimationstechniken besonders gut. So werden aggressive Triebe oft durch Sport sublimiert, sexuelle Wünsche durch Beschäftigung mit schönen Künsten oder kindliche Neugierde durch wissenschaftliche Forschertätigkeit.

Sublimierungen erfüllen die Befriedigung der Triebwünsche oft gut und werden dann nicht als psychopathologisch angesehen. Nach Freud ist die Sublimierung ein wichtiger Motor für die Kulturentwicklung.

Intellektualisierung

 

Entfernung vom unmittelbaren konfliktuösen Erleben durch Abstraktionsbildung und theoretisches Analysieren (z. B. abstrakte Gespräche über das Wesen der Liebe; Fachsimpeln unter Ärzten oder Therapeuten über schwierige Patienten oder solche, die in ihrem Leid als psychische Belastung erlebt werden), Philosophieren über Dinge, die eine verborgene emotionale Bedeutung für die Person haben.

Regression

 

Es erfolgt ein überwiegend unbewusster Rückzug auf eine frühere Entwicklungsstufe der Ich-Funktion, in der ein niedriger organisiertes Verhalten noch funktioniert hat (Trotzverhalten, Fresslust, Suche nach Versorgung). Entstehende Probleme aus diesem regressiven Verhalten werden durch andere Mechanismen abgewehrt.

Reaktionsbildung

Unakzeptable Gefühle und Impulse werden durch entgegen gesetzte Gefühle niedergehalten (z. B. Mitleid statt aggressiver Impulse)

Rationalisierung

Rechtfertigung für das eigene Verhalten mit scheinbar vernünftigen Erklärungen. (Scheinbegründungen).

Gefühlshafte Anteile an Entscheidungen werden ignoriert oder unterbewertet.

Ungeschehen machen

Einsatz faktisch unwirksamer Handlungen und Rituale (z. B. auf Holz klopfen), denen eine symbolische Kraft zugeschrieben wird, mit dem Ziel, Strafe bei Verbots- und Gebotsübertretungen abzuwenden.

Projektion

 

Eigene psychische Inhalte und Selbstanteile (vor allem Affekte, Stimmungen, Absichten und Bewertungen) werden anderen Personen zugeschrieben. Bei anderen sieht man das, was man bei sich selbst nicht wahrhaben will. Z.B. nicht „ich lehne den Anderen ab“, sondern „er mag mich nicht“.

Projektive Identifizierung

 

Negative Selbstanteile (in der Regel Aggressionen) werden erst abgespalten, dann auf das Gegenüber projiziert – wenn das Gegenüber sich unbewusst mit den abgespaltenen, projizierten Anteilen identifiziert und so handelt, wie es der Erwartung entspricht (z. B. aggressiv), werden durch diese Externalisierung unangenehmer oder unerträglicher Selbstanteile somit innere Konflikte in der Außenwelt inszeniert, um das innerpsychische Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, was jedoch die Beziehungen zu anderen stark belasten kann.

Es handelt sich um einen für Borderline-Störungen typischen Abwehrmechanismus, der die Schwierigkeiten, sich der Psychodynamik der Betroffenen gegenüber abzugrenzen, besser verständlich macht.

Kurz: Kombination von innerpsychischen und interpersonellen Vorgängen, bei dem das Gegenüber (unbewusst) so beeinflusst wird, dass es bestimmte Erwartungen erfüllt.

Introjektion und Identifikation

 

auch

 

Identifikation mit dem Aggressor

 

Wehrt Angst vor Bedrohungen von außen ab. Einverleiben äußerer Werte wie Verhalten, Anschauungen, Normen oder Werte einer anderen Person in die Ich-Struktur, sodass das Individuum sie nicht mehr als Drohungen von außen erleben muss.

 

Bei einem gewaltsamen Übergriff bzw. einer psychischen Grenzüberschreitung wird die Verantwortung für das Geschehen sich selbst zugeschrieben und/oder die Einstellung oder das Verhalten eines Angreifers übernommen. Beides dient der Abwehr unerträglicher Angst- und Hilflosigkeitsgefühle und einer symbolischen Rückerlangung von Kontrolle.

Konversion

 

Ein Konflikt wird aus dem psychischen in den körperlichen Bereich konvertiert.

Der körperliche Ausdruck des Konfliktes nimmt dann einen symbolischen Charakter an. Z.B. kann es zu einer hysterischen Blindheit kommen, weil man den Anblick von etwas nicht ertragen kann.

Spaltung

 

Objektspaltung: Ereignisse und / oder Personen werden in gut und böse unterteilt.

Ich-Spaltung: Erfahrungs- und Persönlichkeitsbereiche werden voneinander abgespalten.

Gute Anteile werden idealisiert, „böse“ oder „schlechte“ werden entwertet, verdammt oder dämonisiert.

Autoaggression

 

Aggressive Impulse werden gegen die eigene Person gerichtet und treffen so nicht die Person, der sie ursprünglich galten, um die Beziehung zu dieser Person nicht zu gefährden. Das interpersonelle Feld wird so von Störungen freigehalten, ein interpersoneller Konflikt wird zulasten eines intrapsychischen Konflikts vermieden.

 

Bestimmte Abwehrmechanismen treten in der Praxis nur ab einem gewissen Strukturniveau auf und können deshalb innerhalb der Therapie ein Hinweis auf ein vorhandenes Strukturniveau beim Klienten sein.

 

 

Charakterneurosen

 

Eine Neurose kann die Persönlichkeit unterschiedlich stark beeinträchtigen.

 

Wenn die Symptomatik stärker ausgeprägt ist und den gesamten Charakter betrifft, spricht man traditionell von Charakterneurosen.

Heute spricht man statt von Charakterneurosen von Persönlichkeitsstörungen.

 

Klassische Psychoanalyse

Die Psychoanalyse soll helfen, unbewusste Ursachen von auffälligem Verhalten und Leiden aufzudecken und bewusst zu machen, damit Betroffene sich mit ihrer Problematik auseinandersetzen, ein besser passendes Verhalten entwickeln können und die zugrunde liegenden Konflikte sich auflösen.

 

Freie Assoziation

Um Zugang zu dem verdrängten Material zu bekommen, wird die Technik der freien Assoziation angewendet. Der Patient soll alles aussprechen, was ihm gerade in den Sinn kommt, was er fühlt, was er denkt und wovor er sich fürchtet.

 

Bei der klassischen Psychoanalyse liegt der Betroffene auf einer Couch und der Therapeut sitzt außerhalb des Blickfeldes hinter ihm, damit der Patient ihn nicht sehen kann. Somit bildet er eine Art „weiße Wand“ auf die der Patient frei projizieren kann.

 

Übertragung und Gegenübertragung

Der Patient projiziert auf den Therapeuten jene Gefühle, Wünsche, Ängste und Gedanken, die eigentlich anderen Personen (beispielsweise der Mutter oder dem Vater) gelten. Dies wird Übertragung genannt. Die Übertragung ist der wichtigste Vorgang in der psychoanalytischen Therapie, weil der Therapeut nicht in der Art und Weise auf die ihm entgegengebrachten Emotionen reagiert, wie der Betroffene es früher einmal bei einer anderen Person erlebt hat.

 

Im Analytiker entwickelt sich eine Gegenübertragung, die er nicht auslebt sondern dem Patienten so zur Verfügung stellt, dass dieser sich damit auseinandersetzen kann.

 

Träume des Patienten werden ebenfalls angesprochen und gedeutet.

 

Während der freien Assoziation kommt es, durch unbewusstes Vermeiden des Patienten, zu Unterbrechungen des Gedankenflusses oder Themenwechsel. Ursache dafür sind meistens unangenehme Gefühle oder Erinnerungen des Betroffenen, die besonders eng mit traumatischen Ereignissen oder anderen verdrängten Inhalten verbunden sind.

 

Deutung

Die Aufgabe des Therapeuten ist es, diese Vermeidungen oder Widerstände zu deuten und dem Patienten zu helfen, das aus seinem Bewusstsein Verbannte wieder aufs Neue zu durchleben, hierdurch zu neuen Einsichten zu gelangen und schließlich eine Persönlichkeitsveränderung herbeizuführen.

 

In der Therapie wird versucht, typischen Emotions- und Verhaltensmuster zu erkennen, sie immer wieder durchzuarbeiten und bewusst zu machen und somit die pathologische Wirkung früherer emotionaler Erfahrungen zu korrigieren.

 

Der Betroffene soll nach und nach merken, dass die Symptome als Abwehrmechanismen gegen das Wiederauftreten schmerzhafter Gefühle und Erinnerungen dienten, die nicht mehr auftreten werden, wenn die Gefühle und Erinnerungen aufgedeckt und integriert sind.

 

Setting

Eine klassische Psychoanalyse findet 4-5-mal wöchentlich statt (Modifizierte psychoanalytische Therapie meistens 2-3-mal wöchentlich)für jeweils ca. 50 Minuten und erstreckt sich meist über Jahre hinweg.

 

Die eigentliche Psychoanalyse wird in der Krankenbehandlung nur noch selten angewendet. Meist werden von ihr abgeleitete Verfahren mit geringerem Aufwand für Arzt und Patient mit ähnlich gutem Erfolg angewendet. Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien streben eine Begrenzung des Behandlungsaufwandes an.

 

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie

Synonym: psychodynamische Psychotherapie

 

Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist eine Abwandlung der klassischen Psychoanalyse. Sie wird in der Praxis mit am häufigsten angewendet.

 

Im Gegensatz zur Psychoanalyse finden tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien im Sitzen statt. Der Therapeut und sein Klient sitzen sich gegenüber, so dass der Klient die Gestik und Mimik des Therapeuten sehen kann. Die Sitzungen finden in der Regel einmal (manchmal auch zweimal) in der Woche, für etwa jeweils 50 Minuten, statt.

Dadurch soll die Regression begrenzt und Übertragungsneurosen vermieden werden.

 

Die Therapiedauer richtet sich nach den Beschwerden und Bedürfnissen der Betroffenen, ist meistens aber kürzer, wie bei der klassischen Psychoanalyse. Sie reicht von ausgesprochenen Kurzzeit- oder Fokaltherapien bis zur Langzeittherapie.

 

Therapien können in Einzel- und Gruppensitzungen durchgeführt werden. Auch in der Paartherapie kann dieses Verfahren angewendet werden.

 

Der tiefenpsychologische Ansatz richtet sich vor allem auf die aktuellen psychischen Probleme und Konflikte des Betroffenen. Erst zweitrangig wird an Störungsanteilen aus Kindheits- und Jugenderlebnissen gearbeitet, um vorherrschende Lebenseinstellungen zu verändern.

 

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapien können bei Neurosen, psychosomatischen Störungen, Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen und Psychosen angewendet werden.

 

Katathym Imaginative Psychotherapie

Synonym: katathymes Bilderleben

Die Katathym Imaginative Psychotherapie ist ein tiefenpsychologisch fundiertes Verfahren

Beim katathymen Bilderleben, das auch als Bilderreise bezeichnet wird, wird mit Tagtraumtechniken gearbeitet, die unbewusste Emotionen und Konflikte widerspiegeln.

 

Um auf die individuellen Bedürfnisse des Betroffenen eingehen zu können, wird zu Beginn der Therapie ein ausführliches Gespräch über die Lebensgeschichte und die aktuellen Beschwerden des Klienten geführt, in welchem er darlegt, welche Hilfe er erwartet und benötigt.

In den weiteren Sitzungen versucht der Therapeut in Zusammenarbeit mit dem Betroffenen, bewusst Tagträume herbeizurufen, die unter einem bestimmten Thema stehen. Die dabei entstehenden Bilder werden dann gedeutet um durch die entschlüsselte Symbolik der Bilder innere Einstellungen zu erkennen und zu verändern.

 

Eine Sitzung beginnt mit einer Entspannungs- bzw. Eingewöhnungsphase. Dann gibt der Therapeut ein Bild vor (Wiese, Bach, Haus, Berg u.ä.), das der Klient nach eigenen Vorstellungen füllt. Dieser beschreibt im Anschluss daran genau, was er gesehen hat. Hierbei findet eine tiefenpsychologische Nachbearbeitung statt und mit Hilfe des Therapeuten werden unbewusste Gefühle bewusst gemacht.

 

Das katathyme Bilderleben ist eine Form der Kurzzeittherapie, die zur Behandlung von Depressionen, psychosomatischen Beschwerden, Neurosen und Krisen eingesetzt wird.

 

 


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