Dissoziative- und Konversionsstörungen


Dieses Störungsbild ist mannigfaltig.

 

Dissoziation kennen wahrscheinlich alle Menschen mit Traumatisierung. Im Text findet ihr neben der Definition von Dissoziation und Konversion die verschiedenen Ausprägungen, außerdem Theorien zur Entstehung und Informationen zu Verlauf und Verbreitung.


Geschichtliches

Schon in der Antike wurden bestimmte körperliche und psychische Symptome wie auch bestimmte Charakterzüge als "hysterisch" bezeichnet. Damals glaubte man an eine Wanderung der Gebärmutter im Körper als Ursache für die hysterischen Symptomen.

 

Im Mittelalter galten Menschen mit hysterischen Symptomen als vom Teufel besessen.

 

Freud begann als erster, die Ursachen der Hysterie wissenschaftlich zu erforschen und entwickelte dabei die klassische Psychoanalyse.

 

Er beobachtete, dass hysterische Symptome verschwanden, wenn es gelang, die entsprechenden, aus dem Bewusstsein verdrängten Inhalte und den dazugehörigen Affekt in Erinnerung zu bringen und zu beleben. Daraus schloss er, dass hysterische Symptome die Folgen neurotischer Verarbeitung intrapsychischer Konflikte sind.

 

Freud führte aus, dass der für die Hysterie typische Modus der Symptombildung die Konversion sei, d. h. die Umsetzung eines psychischen Konfliktes in körperliche Symptome. Die durch den Konflikt aufgestaute libidinöse Energie werde umgewandelt in körperliche Symptome.

 

Dabei war für Freud die Konversion untrennbar mit der symbolischen Funktion des Symptoms verbunden. Die Konversionssymptome drücken verdrängte Inhalte (Vorstellungen und Gefühle) durch den Körper aus. Dieser zweite Aspekt gewann im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung, so dass heute unter Konversion in erster Linie eine "Übersetzung" verdrängter Bewusstseinsinhalte in eine Körpersprache verstanden wird.

 

Bei der Konversion handelt es sich also um eine Symptombildung mit symbolhafter Somatisierung. Das Symptom hat Ausdruckscharakter.

 

Aufgrund der negativen Bedeutung, die sich im Laufe der Zeit in der Umwelt ergeben hat, ist von dem Begriff Hysterie Abstand genommen worden. Er wird heutzutage so gut wie kaum noch verwendet.

 

Man kann drei Gruppen von hysterischen Phänomenen oder Vorgängen unterscheiden:

 

  • körperliche Funktionsstörungen, die u. a. als Lähmungen, Seh-, Hör-, Gleichgewichts-, Sprechstörungen zu beobachten sind: Körperliche Erkrankungen werden unbewusst imitiert oder nachgebildet, ohne dass ein organpathologischer Befund vorliegt. So sind z. B. bei den hysterischen Lähmungen die Reflexe erhalten, die Muskeln zeigen keine Atrophie. Bei einer hysterischen "Blindheit" reagieren die Pupillen normal.
  • dissoziative Phänomene, die als psychische Funktionsstörungen, wie z. B. abgegrenzte Erinnerungslücken für bestimmte Zeitabschnitte (Amnesien) oder Bewusstseinsstörungen wie psychogene Dämmerzustände, hysterische Ich-Spaltungen, hysterische Pseudohalluzinationen zu beobachten sind
  • hysterische Persönlichkeitszüge, die sich bestimmten Verhaltensmustern wie der Tendenz zur Dramatisierung, der verminderten Fähigkeit, zwischen Phantasie und Realität zu unterscheiden, einer ausgeprägten Suggestibilität, übertriebener Koketterie und Theatralik und ähnliches zeigen. (Histrionische Persönlichkeitsstörung)

 

Dissoziation

Der Begriff Dissoziation bedeutet Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder der Wahrnehmung der Umwelt.

 

Dissoziation im psychiatrischen und/oder psychotherapeutischen Sinne kann als ein Defekt der mentalen Integration verstanden werden, bei der eine oder mehrere Bereiche mentaler Prozesse vom Bewusstsein getrennt werden und unabhängig voneinander ablaufen (Abspaltung von Bewusstsein).

Konversion

Demgegenüber umfasst Konversion somatische, d. h. sensorische und motorische Phänomene. Es handelt sich um einen Abwehrmechanismus, bei dem unverarbeitete Konflikte in körperliche Symptome umgewandelt werden. Der zugrunde liegende Konflikt bekommt somit einen Ausdruckscharakter.

 

Allgemeine Kennzeichen der Dissoziativen- und Konversionsstörungen sind teilweise oder völlige Verluste der Kontrolle über die Sinneswahrnehmung, Körperbewegung, Erinnerung an die Vergangenheit und das Identitätsbewusstsein.

 

ICD 10

In der ICD 10 werden die Begriffe dissoziative Störung und Konversionsstörung synonym verwendet.

 

Danach ist das allgemeine Kennzeichen der dissoziativen Störungen oder Konversionsstörungen ein teilweiser oder völliger Verlust der normalen Integration der Erinnerung an die Vergangenheit, des Identitätsbewusstseins, der Wahrnehmung unmittelbarer Empfindungen sowie der Kontrolle von Körperbewegungen.

 

Voraussetzung für eine Diagnose ist, dass körperliche Untersuchungen keinen Hinweis auf eine bekannte somatische oder neurologische Krankheit ergeben.

 

Zusätzlich ist der Funktionsverlust offensichtlich Ausdruck emotionaler Konflikte oder Bedürfnisse.

 

Nur Störungen der körperlichen Funktionen, die normalerweise unter willentlicher Kontrolle stehen, und Verlust der sinnlichen Wahrnehmung sind hier eingeschlossen. Störungen mit Schmerz und andere komplexe körperliche Empfindungen, die durch das vegetative Nervensystem vermittelt werden, sind unter Somatisierungsstörungen  klassifiziert.

 

Verlauf und Epidemiologie

Dissoziative Störungen können plötzlich oder allmählich auftreten, vorübergehend oder chronisch sein. Die meisten dissoziativen Störungen neigen nach einigen Wochen oder Monaten zur Remission. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Beginn mit einem traumatisierenden Lebensereignis verbunden ist.

 

Eher chronische Störungen, besonders Lähmungen und Gefühlsstörungen, entwickeln sich häufig im Zusammenhang mit scheinbar unlösbaren Problemen oder interpersonalen Schwierigkeiten.

 

Konversionsneurotische Symptombildungen sind weit verbreitet. Die Auftretenshäufigkeit in der Allgemeinbevölkerung wird auf 3–7 % geschätzt.

 

In ihrem Verlauf können vielfältige und wechselnde Körpersymptome auftreten, die Störungen können im Bereich der Motorik und der Sensorik auftreten.

 

Das klinische Bild der Konversionssyndrome hat sich gewandelt. Hysterische Symptomneurosen sind seit der Jahrhundertwende in Westeuropa ausgesprochen selten geworden sind, während sie zum Beispiel in Indien und in den Mittelmeerländern weiterhin häufig anzutreffen sind. Als Folge der fortschreitenden Aufklärung und Intellektualisierung ist es vermutlich schwierig geworden, die damaligen Formen hysterischer Inszenierungen zu reproduzieren.

 

Bei den hysterischen Patienten von heute überwiegen Hyperventilationssyndrome, Ausfälle motorischer Funktionen, Krämpfe, Gangstörungen, sensorische Phänomene, Taubheit oder Blindheit, Schmerzen bei Überempfindlichkeit oder auch Hypästhesie ( Berührungs- und Drucksensibilität der Haut), Pruritus (Juckreiz) und Stimmstörungen sowie "Nervenzusammenbrüche" und pseudodepressive Krisen.

 

Der Beginn der Störung liegt häufig in der Kindheit und im frühen Erwachsenenalter.

 

Bei Frauen werden dissoziative- und Konversionsstörungen sehr viel häufiger diagnostiziert als bei Männern.

 

Formen

Die folgenden Ausführungen basieren auf der Klassifikation der Dissoziativen Störungen nach der ICD 10. Zusätzlich werden hier die Depersonalisations- und Derealisationssyndrome betrachtet, die in der ICD 10 unter anderen neurotischen Störungen separat aufgeführt werden.

 

Dissoziative Amnesie

Das wichtigste Kennzeichen ist der Verlust der Erinnerung für meist wichtige aktuelle Ereignisse, die nicht durch eine organische psychische Störung bedingt ist und für den eine übliche Vergesslichkeit oder Ermüdung als Erklärung nicht ausreicht.

 

Die Amnesie bezieht sich meist auf traumatische Ereignisse wie Unfälle oder unerwartete Trauerfälle und ist in der Regel unvollständig und selektiv. Eine vollständige und generalisierte Amnesie ist selten.

 

Die Diagnose sollte nicht bei hirnorganischen Störungen, Intoxikationen oder extremer Erschöpfung gestellt werdenn

 

Es werden mehrere Formen der Amnesie unterschieden:

 

  • Selektive Amnesie

Betroffene erinnern sich an einige, aber nicht an alle Ereignisse in einem bestimmten Zeitabschnitt.

  • Lokalisierte Amnesie

Betroffene können sich an alles, was in einem bestimmten Zeitraum geschehen ist, nicht mehr erinnern.

  • Generalisierte Amnesie

Betroffene können sich nicht mehr an das ganze Leben vor dem auslösenden Ereignis erinnern.

Diese Form der Amnesie ist sehr selten.

 

Dissoziative Fugue

Hierbei nehmen Betroffene einen unerwarteten, plötzlichen Ortswechsel vor.

Man kann sagen, es kommt zu einer Flucht aus ihrer gewohnten Umgebung. Die Betroffenen leiden an einer Amnesie der Vergangenheit und persönlichen Lebenssituation.

Das Verhalten dieser Menschen ist nach außen hin völlig unauffällig und wirkt normal. Betroffene vergessen ihre Identität, reisen an einen anderen Ort und nehmen dort eine neue Identität an.

Die Fugue tritt plötzlich auf, meist nach einem belastenden Ereignis und kann Stunden, Tage oder auch Monate andauern, bis sie plötzlich wieder endet.

Für den Zeitraum dieser dissoziativen Fugue, besteht nach Ende des Zustandes wiederum eine Amnesie.

 

 

Dissoziativer Stupor

Bei Betroffenen kommt es zu einer Verringerung oder zu einem vollständigen Fehlen der willkürlichen Bewegungen und der Reaktion auf Außenreize (Z.B. Geräusche, Licht, Berührung, Schmerz).

Zu einem dissoziativen Stupor kann es durch vorangegangene belastende Ereignisse oder Probleme kommen.

Der Zustand kann Minuten, Tage und in sehr seltenen Fällen auch Wochen anhalten. Die Symptome klingen meist genauso spontan wieder ab, wie sie begonnen haben.

Für die Zeit des dissoziativen Stupors kann nach dem Abklingen eine Amnesie bestehen.

 

Trance- und Besessenheitszustände

Bei diesen Zuständen erleiden Betroffene eine Bewusstseinsveränderung. Es kommt zu einem Verlust der persönlichen Identität und der Wahrnehmung der Umgebung. Meistens ist die Aufmerksamkeit nur auf ein oder zwei Aspekte der Umwelt begrenzt.

Es handelt sich hierbei ausschließlich um ungewollte und unfreiwillige Trance- und Besessenheitszustände, die nicht etwa durch Drogen oder ähnliches herbeigeführt werden. Auch treten diese Zustände außerhalb von religiösen und kulturellen Situationen auf.

 

Dissoziative Bewegungsstörungen

Die häufigsten Formen zeigen den vollständigen oder teilweisen Verlust der Bewegungsfähigkeit eines oder mehrerer Körperglieder. Sie haben große Ähnlichkeit mit fast jeder Form von Ataxie, Apraxie, Akinesie, Aphonie, Dysarthrie, Dyskinesie, Anfällen oder Lähmungen.

 

Dissoziative Krampfanfälle

Dissoziative Krampfanfälle können epileptischen Anfällen bezüglich ihrer Bewegungen sehr stark ähneln. Zungenbiss, Verletzungen beim Sturz oder Urininkontinenz sind jedoch selten. Ein Bewusstseinsverlust fehlt oder es findet sich stattdessen ein stupor- oder tranceähnlicher Zustand.

 

Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen

Die Grenzen anästhetischer Hautareale entsprechen oft eher den Vorstellungen des Patienten über Körperfunktionen als medizinischen Tatsachen. Es kann auch unterschiedliche Ausfälle der sensorischen Modalitäten geben, die nicht Folge einer neurologischen Läsion sein können. Sensorische Ausfälle können von Klagen über Parästhesien begleitet sein. Vollständige Seh- oder Hörverluste bei dissoziativen Störungen sind selten.

Es gibt verschiedene Formen dieser Störungen:

Störungen der Hautsensibilität

Betroffene können in manchen Hautrealen das Gefühl der Taubheit oder auch Missempfindungen haben.

 

 

Sensorische Ausfälle

Hierzu gehören Tunnelsehen, verschwommenes Sehen, Blindheit, eingeschränktes Hörvermögen und die Aufhebung des Geruchsvermögens.

 

 

Die Symptomatik der dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen schwächt sich in den meisten Fällen von selbst wieder ab.

Man geht davon aus, dass die Häufigkeit dieser Störungen, in der allgemeinen Bevölkerung, bei ca. 3 % liegt.

 

 

Ganser-Syndrom

Das Ganser-Syndrom ist ein ausgesprochen seltenes Störungsbild, das sich vor allem in einem sinnlosen Vorbeireden und Vorbeihandeln äußert.

Betroffene antworten auf Fragen sehr unpassend, wirken orientierungslos und zeigen Fehlhandlungen.

 

Dissoziative Identitätsstörung ( Multiple Persönlichkeitsstörung )

Das Hauptmerkmal dieser Störung, ist die Existenz von mindestens zwei oder mehreren verschiedenen Persönlichkeiten in einer Person.

Jede dieser Identitäten (es können teilweise sehr viele sein) ist zu einem bestimmten Zeitpunkt nur einzeln nachweisbar und besitzt eigene Vorlieben, Erinnerungen, Verhaltensweisen, Charakterzüge, Empfindungen und Einstellungen.

Es gibt eine Primärpersönlichkeit, die meist öfter als die Anderen erscheint. Die Alternativ-Ichs übernehmen die Kontrolle über das Erleben und Verhalten der Person meist plötzlich durch bestimmte Auslösereize. Ein Wechsel der „Ichs“ ist meist dramatisch und mit traumatischen Erlebnissen verbunden.

 

Betroffene leiden meist an Amnesien für die Zeit, in der ein anderes Ich die Kontrolle übernommen hat. Sie sind unfähig, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, die zu umfassend sind, als dass dieses durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt werden könnte.

Oft leiden sie unter Entfremdungserleben und Stimmenhören in ihrem Kopf.

Sie sprechen meist von sich selbst in der dritten Person (er, sie, wir).

 

Es gibt 3 mögliche Beziehungen der verschiedenen Persönlichkeiten untereinander:

 

1. Manche Subpersönlichkeiten wissen von den Anderen, doch dieses Bewusstsein ist nicht wechselseitig. Man nennt diejenigen, die von den Anderen wissen, co-bewusste Subpersönlichkeiten. Sie sind „stille Beobachter“, die sich nicht in die Gedanken und Handlungen der Anderen einmischen.

 

2. Alle Persönlichkeiten sind sich der Existenz voneinander bewusst. Sie können sich hören und miteinander sprechen.

 

3. Alle Persönlichkeiten wissen nichts voneinander.

 

Die dissoziative Identitätsstörung wird in den letzten Jahren zunehmend häufiger diagnostiziert als früher.

 

Frauen sind öfter betroffen als Männer.

 

Viele Fälle werden zum ersten Mal in der Adoleszenz oder im frühen Erwachsenenalter diagnostiziert. Die Symptome setzen aber schon sehr viel früher ein, meistens nach schweren traumatischen Ereignissen, die dem Betroffenen unerträglich erscheinen (z.B. sexueller Missbrauch, körperliche oder seelische Misshandlungen).

 

Da die multiple Persönlichkeitsstörung oft von anderen co-morbiden Störungen und Symptomen, wie u.a. Selbstverletzungen, Ängsten, Substanzmissbrauch, Essstörungen, Impulsdurchbrüche und schweren Depressionen, überlagert wird, werden oft über Jahre hinweg mehrere unterschiedliche Diagnosen gestellt, bis es letztendlich zu einer endgültigen Diagnose kommt.

 

Ohne eine richtige Behandlung nimmt die Störung meist einen chronischen Verlauf.

 

 

Depersonalisations- und Derealisationssyndrom

Eine seltene Störung, bei der ein Patient spontan beklagt, das seine geistige Aktivität, sein Körper oder die Umgebung sich in ihrer Qualität verändert haben, und unwirklich, wie in weiter Ferne oder automatisiert erlebt werden. Neben vielen anderen Phänomenen und Symptomen klagen die Patienten am häufigsten über den Verlust von Emotionen, über Entfremdung und Loslösung vom eigenen Denken, vom Körper oder von der umgebenden realen Welt.

 

Trotz der dramatischen Form dieser Erfahrungen ist sich der betreffende Patient der Unwirklichkeit dieser Veränderung bewusst. Das Sensorium ist normal, die Möglichkeiten des emotionalen Ausdrucks intakt.

 

Depersonalisations- und Derealisationsphänomene können im Rahmen einer schizophrenen, depressiven, phobischen oder Zwangsstörung auftreten. In solchen Fällen sollte die Diagnose der im Vordergrund stehenden Störung gestellt werden.

 

Bei der Depersonalisationsstörung kommt es zu andauernden oder wiederkehrenden Erfahrungen, sich von den eigenen geistigen Prozessen oder vom eigenen Körper losgelöst oder sich wie ein außenstehender Beobachter der eigenen geistigen Prozesse oder des eigenen Körpers zu fühlen (z. B. sich fühlen, als sei man in einem Traum). Während der Depersonalisationserfahrung bleibt die Realitätsprüfung intakt.

 

Ätiologie

Psychodynamische Aspekte

Ein wichtiger Aspekt für die Entstehung von Konversionsstörungen ist die Konversion selbst, d. h. die Umsetzung eines Konfliktes und seiner Bestandteile in eine Körpersprache.

 

Durch die meisten hysterischen Erscheinungsformen werden verschiedenste körperliche und psychische Leiden unbewusst "imitiert". Dies bedeutet, dass hier massive Identifikationsprozesse stattfinden, und zwar entweder mit konkret beobachteten kranken Patienten oder mit bestimmten stereotypen Vorstellungen davon, wie eine Krankheit aussieht.

 

Die Verdrängung ist eine weitere wichtige Voraussetzung dafür, dass solche Vorgänge überhaupt unbewusst ablaufen können. Von weiterer Bedeutung sind die Dissoziation, bei der eine oder mehrere Bereiche mentaler Prozesse vom Bewusstsein getrennt werden und unabhängig voneinander ablaufen und die Emotionalisierung. Alle o. g. Mechanismen sind sehr wichtig und notwendig, aber nicht spezifisch für Konversionsstörungen.

 

Spezifisch für den konversionsneurotischen (hysterischen) Modus der Konfliktverarbeitung ist die Inszenierung, die für den äußeren und den inneren Beobachter (Über-Ich) aufgeführt wird. Eine Inszenierung, die in erster Linie die Funktion hat, den Erkrankten "in einem anderen Licht erscheinen" zu lassen. Hysterische Erlebens- und Verhaltensweisen können demnach als unbewusste Inszenierungen aufgefasst werden, mit dem Ziel für sich und andere, anders zu erscheinen als man ist. Es entsteht der Eindruck, als wenn es sich hier um eine zeitweise, inszenierte Änderung der Selbstrepräsentanz handelt.

 

Die klassische psychoanalytische Theorie geht davon aus, dass besonders Konflikte aus der ödipalen Phase bzw. ihrer Reaktivierung im Erwachsenenalter den hysterischen Symptomen (Konversionsstörungen, dissoziativen Störungen) und Persönlichkeitsstörungen zugrunde liegen.

 

Heute geht man davon aus, dass bei fast jedem Patienten mit hysterischer Symptomatik und/oder hysterischer Persönlichkeitsstörung auch Konflikte aus der oralen Phase, wie z. B. eine unvollständige Symbioseablösung und alle anderen nicht konstruktiv verarbeiteten Trennungen sowie eine narzisstische Selbstwertproblematik verbunden mit strukturellen Mängeln im Bereich der Regulation des Selbstwertgefühls vorhanden und oft sogar dominierend sind.

 

Die Ursachen konversionsneurotischer Symptombildungen können demnach aus psychodynamischer Sicht auf eine nicht bewältigte ödipale Problematik und/oder auf eine strukturelle Ich-Störung, sowie ein labiles Selbstwertgefühl zurückgeführt werden.

 

Durch Emotionalisierung und theatralisches Verhalten (Inszenierungen) wird der Versuch unternommen, das labile Selbstwertgefühl zu kompensieren.

 

Verhaltenstheoretische Aspekte

Aus verhaltenstherapeutischer Sicht werden Konversionssymptome produziert, um Belohnungen zu erhalten und Stress zu reduzieren.

 

Man geht davon aus, dass dissoziative und Konversionsstörungen eine angelernte körperliche Reaktionen sind, um mit konflikthaften Situationen besser umgehen zu können (Lernen am Modell) und dass die Symptome auf zwei Arten verstärkt werden.

 

Zum einen durch den sekundären Krankheitsgewinn: Z.B. durch Aufmerksamkeit, soziale Unterstützung, Rente, Arbeitsunfähigkeit.

 

Zum anderen durch den primären Krankheitsgewinn: Psychische Probleme werden durch die Überlagerung der körperlichen Symptome nicht angegangen.